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Die moderne Medizin hat unserer Gesellschaft zahllose Vorteile gebracht, aber auch zusätzliche frühkindliche Erfahrungen von Schmerzen. So gehört heute bei Neugeborenen zum Beispiel die Vitamin K-Injektion sowie die Blutabnahme mittels Fersenstich (zum Zweck des lebenswichtigen Neugeborenen-Screenings; siehe Infobox) zur Routineversorgung; im Alter von sechs Wochen beginnen dann die ersten Impfinjektionen. Besonders betroffen sind aber kranke oder frühgeborene Säuglinge, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen: Sie haben täglich etwa vierzehn notwendige, aber schmerzhafte Eingriffe im Krankenhaus zu überstehen.1
Säuglinge drücken ihren Schmerz äusserlich durch bestimmte Verhaltensreaktionen aus, beispielsweise durch Weinen, Veränderungen des Gesichtsausdrucks und der Körperbewegungen. Neonataler Schmerz kann aber auch durch biologische Reaktionen, wie Veränderungen in der Herzfrequenz und der Sauerstoffsättigung im Blut, nachgewiesen werden.2
Frühkindliche Schmerzen und ihre Folgen
Wiederholte frühkindliche Schmerzen können kurz- bis langfristige körperliche und emotionale Auswirkungen haben, beispielsweise eine gesteigerte Schmerzempfindung, die mit einer beeinträchtigten Gehirnentwicklung im späteren Leben in Verbindung gebracht werden.3 Langfristige Folgen frühkindlicher Schmerzen, beispielsweise veränderte Geschmacksbildung, Ängste und gestörte psychische Verarbeitung von Schmerzen, werden zunehmend insbesondere bei extrem Frühgeborenen erkannt.4
Linderung durch Muttermilch
Muttermilch scheint hier eine besondere Rolle zu spielen. Sie enthält Laktose, die ihr einen süssen Geschmack verleiht, sowie Tryptophan, das die Ausschüttung von körpereigenen Opioiden ermöglicht: Beides gute Voraussetzungen für eine Linderung der Schmerzreaktionen.5 Studien zeigen, dass sogar der Geruch von Muttermilch, im Vergleich zu Vanille, die Veränderungen der Herzfrequenz und der Sauerstoffsättigung im Blut von Frühgeborenen während einer Venenpunktion beeinflusst.6 Weiterhin konnte gezeigt werden, dass gestillte Säuglinge, die von der Mutter gehalten wurden, während einer Impfinjektion geringere Schmerzwerte aufwiesen, insbesondere weinten sie weniger und hatten eine niedrigere Herzfrequenz und höhere Sauerstoffsättigung im Blut.7
Multisensorische Konzepte
Weitere Studien deuten darauf hin, dass insbesondere multisensorische Stimulationen mittels Muttermilchgeschmack, sanfter Berührung und Abspielen von Tonaufnahmen der mütterlichen Stimme schmerzstillende Wirkungen erzeugen können.8 Physiologisch scheinen diese Massnahmen die Schmerzreaktion über die Aktivierung bestimmter Vorgänge, beispielsweise der Ausschüttung von Endorphinen sowie der Modulation bestimmter Zellen im Rückenmark mit sogenannter Gate Control, zu begünstigen.9 Die Studienlage ist allerdings nicht konsistent: Andere Untersuchungen, die mit Muttermilch und Muttermilchgeruch bzw. -geschmack experimentierten – ohne weitere Stimulation – konnten dagegen keinen schmerzstillenden Effekt feststellen.10; 11
Sanftes Neugeborenen-Screening
In einer aktuellen Studie aus Taiwan wurde der schmerzstillende Effekt von Muttermilchgeruch und -geschmack mittels multisensorischer Stimulation an 114 Neugeborenen untersucht, die im Rahmen des Neugeborenen-Screenings einem Fersenstich zur Blutabnahme unterzogen wurden.12 Unterteilt wurden sie in drei Gruppen: die Kontrollgruppe, die während des Fersenstichs sanft berührt wurde und dabei die freundliche Stimme des Arztes hörte, und die beiden Testgruppen, die zusätzlich noch entweder Muttermilchgeruch (über einen mit Muttermilch getränkten Wattebausch) oder Muttermilchgeruch und -geschmack (oral 2,5 ml Muttermilch über eine Spritze) erfuhren. In beiden Testgruppen konnte ein schmerzstillender Effekt festgestellt werden: Die Säuglinge wiesen im Vergleich zur Kontrollgruppe eine niedrigere Herzfrequenz sowie eine höhere Sauerstoffsättigung im Blut auf und weinten deutlich weniger. Diese Ergebnisse machen einmal mehr deutlich, welch ein vielfältiges Wirkspektrum die Muttermilch und das Stillen haben. Neben den weitläufig anerkannten positiven Effekten auf das Immunsystem und langfristigen Vorteilen für die Entwicklung und Gesundheit scheint Muttermilch auch über einen bisher wenig erforschten Wirkvorgang Einfluss auf akute Schmerzreaktionen sowie langfristig auf Schmerzverarbeitung und deren psychologische und physiologische Auswirkungen zu haben.
Neugeborenen-Screening
In Deutschland, Österreich und der Schweiz wird, wie in vielen anderen Ländern auch, bei jedem Kind innerhalb der ersten Lebenstage das sogenannte Neugeborenen-Screening durchgeführt. Dabei werden wenige Tropfen Blut aus der Ferse entnommen und auf eine Karte getropft, um sie im Labor auf seltene, erblich bedingte Krankheiten zu testen, wie beispielsweise auf Hypothyreose, Phenylketonurie (PKU), Galaktosämie und viele mehr.
Damit wird sichergestellt, dass solche unbehandelt oft mit schwerster geistiger und körperlicher Behinderung einhergehenden Krankheiten rechtzeitig erkannt werden, bevor erste Symptome auftreten. Eine rasche Aufnahme der so identifizierten Säuglinge in hochspezialisierte Stoffwechselzentren ermöglicht die Einleitung einer massgeschneiderten Behandlung und legt damit die Grundlage für eine weitgehend normale Entwicklung.13
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