Liebe Hebamme, 

man schätzt, dass bis zu 15 % aller Frauen von einer sogenannten postpartalen Depression betroffen sind. Das würde bedeuten, dass fast jede fünfte Frau, die Sie in der Geburtsvorbereitung, der Vorsorgeuntersuchung, unter der Geburt oder im Wochenbett betreuen, erkrankt ist. Wie geht es Ihnen, wenn Sie diese Zahl lesen? Haben Sie Zweifel, ob das wirklich stimmen kann? Welche der Frauen, die Sie selbst in den letzten Monaten kennengelernt und für eine kurze oder längere Zeit begleitet haben, könnte da eventuell betroffen gewesen sein?

– Diplom-Psychologin Britt Bürgel

Wochenbettdepression – Wer ist betroffen? Wann sollte man handeln?

Nach der Geburt eines Kindes kann es zu unterschiedlichsten Stimmungskrisen kommen. Die Symptome einer Wochenbettdepression reichen von einer leichten Traurigkeit über Depressionen bis hin zu schweren psychotischen Erkrankungen.

Die Wochenbettdepression (postpartale Depression) ist eine Sonderform der depressiven Störung:

  • Sie kann bis zu 24 Monate nach der Entbindung bei der Mutter auftreten
  • In 70 % der Fälle beginnt die Erkrankung ein bis zwei Wochen nach der Geburt
  • Rund 10 bis 25 % der Mütter, aber auch rund 4 % der Väter, leiden an dieser Erkrankung.1

Es wird angenommen, dass vor allem die raschen Hormonumstellungen nach der Geburt an der Entstehung der Wochenbettdepression beteiligt sind. Ihr Risiko erhöht sich, wenn die Mutter bereits vorher eine psychische Erkrankung wie eine Depression oder Zwangsstörung hatte. Auch ein vorangegangenes traumatisches Erlebnis oder eine aktuell belastende Lebenssituation, die von sozialer Isolation, Armut, geringer Lebensqualität oder partnerschaftlichen Problemen geprägt ist, begünstigen die Entstehung einer Wochenbettdepression1.

Postpartale Depressionen erkennen

Die Begleitung während Schwangerschaft, Entbindung und Wochenbett schafft eine Intimität und Nähe, die die Hebamme für „ihre“ Frauen zu einer besonderen Bezugsperson werden lässt. Viele Frauen entwickeln eine geradezu freundschaftliche Beziehung zu ihrer Hebamme und fühlen sich ihr zeitweilig näher als dem eigenen Partner. Kein Wunder also, dass der erste geäußerte Verdacht auf eine postpartale psychische Erkrankung oftmals von der Hebamme kommt. Damit ist sie diejenige, die eine angemessene Behandlung in die Wege leiten und somit Schlimmeres vermeiden kann.

Als Hebamme wissen Sie: Um anderen helfen zu können, braucht man selbst einen sicheren Boden, auf dem man steht. Es ist nicht immer einfach, für Menschen da zu sein, die traurig, verzweifelt oder niedergeschlagen sind. Es erfordert die Fähigkeit, gut für sich zu sorgen. Dazu gehört auch, im vertrauten Kreis von Kolleg*innen oder unter fachlicher Anleitung die eigenen Erfahrungen zu besprechen und sich auszutauschen. Das schafft Entlastung und bietet die Chance, sich weiterzuentwickeln. Auch das Wissen über mögliche Symptome postpartaler Depression schafft Sicherheit. Es bildet ein wichtiges Fundament für die tägliche Arbeit, weil es Ihnen als Hebamme ein schnelleres Erkennen und Handeln möglich macht. 

Die Symptome einer Wochenbettdepression beginnen meist schleichend:1

  • Energieverlust
  • Gefühle von Traurigkeit, Leere, Schuld, Hoffnungslosigkeit
  • ambivalente Gefühle dem Kind gegenüber, Gefühl eine schlechte Mutter zu sein Desinteresse am Säugling bis hin zu Tötungsgedanken (Suizid, Tötung des Kindes)
  • Störungen des Sexuallebens
  • Schlafstörungen
  • Ängste, Panikattacken

Nicht immer ist die betroffene Frau ständig den Tränen nahe, sichtbar niedergeschlagen oder kaum dazu zu bewegen, ihr Baby in den Arm zu nehmen. Weinerlichkeit und Stimmungslabilität sind vielmehr typische Symptome des sogenannten Baby Blues, umgangssprachlich auch als „Heultage“ bezeichnet. Sie treten etwa am dritten bis fünften Tag nach der Entbindung auf und lassen sich vor allem mit dem abfallenden Hormonspiegel erklären. Diese Symptomatik geht normalerweise innerhalb weniger Tage von selbst vorüber.

Viele der Patientinnen, die ich in meiner Praxis betreue, „funktionieren“ äußerlich gut. Sie schaffen es, morgens zu duschen, sich anzuziehen und sogar noch Make-Up aufzutragen oder die Haare zu stylen. Das Baby wird vorschriftsmäßig versorgt; auch das Stillen klappt in der Regel. Sie gehen einkaufen, putzen die Wohnung oder basteln Deko fürs Kinderzimmer. Das nach außen hin Sichtbare kann lange verschleiern, wie es im Inneren der Mutter aussieht. Da können große Ängste vorherrschen: Angst, mit dem Baby etwas falsch zu machen,  Angst, für den Partner nicht mehr attraktiv zu sein, Angst, den Tagesablauf nicht meistern zu können.

Eine postpartale Depression behandeln

Die postpartale Depression ist gut behandelbar: In Abhängigkeit von der Symptomatik bietet sich eine kombinierte psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung an.2 Wenn die Symptome des Baby Blues zwei bis drei Wochen anhalten, kann sich eine ausgeprägte Wochenbettdepression entwickeln. Die schwere Wochenbettdepression muss wegen erhöhter Suizidgefahr und Gefährdung des Neugeborenen (Infantizid) dringend behandelt werden.

Bei der Behandlung der Wochenbettdepression rückt zunehmend auch die Therapie der häufig gestörten Mutter-Kind-Interaktion in den Vordergrund.3 Wochenbettdepressionen haben insgesamt eine gute Prognose. Auch unbehandelt verschwinden die Symptome bei den meisten Patientinnen innerhalb von einigen Wochen von selbst. Bei nachfolgenden Geburten erleidet rund ein Drittel aller Frauen erneut eine Wochenbettdepression, deshalb sollte insbesondere bei diesen Frauen auf erste Anzeichen geachtet werden.4

An wen kann ich eine betroffene Frau verweisen? Wo findet sie, wo finden ihre Angehörigen rasche Hilfe? Hier zahlt es sich aus, wenn Sie als Hebamme über ein gutes Netzwerk verfügen: Suchen Sie den Austausch mit niedergelassenen Gynäkolog*innen, Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen in Ihrer Nähe.

Welche Hilfe eine Hebamme leisten kann

Die Angst, keine gute Mutter zu sein, verursacht oft tiefe Schuld- und Schamgefühle. So ist es nicht selten, dass die erkrankte Frau am liebsten die Koffer packen und ihr Kind einfach zurücklassen würde. Manche Mutter denkt in ihrer Verzweiflung darüber nach, das Baby zur Adoption freizugeben – auch und gerade dann, wenn sie sich ihr Kind sehr gewünscht hat. In diesem Fall ist die Kluft zwischen den erwarteten Gefühlen und dem, was die Betroffene durchleidet, besonders groß. Auch kann es sein, dass die Mutter Verärgerung, Wut oder starke Ablehnung ihrem Kind gegenüber empfindet. 

Diese intensiven Gefühle können die Entstehung der Mutter-Kind-Bindung beeinträchtigen. Sie sind zugleich ein typisches Krankheitssymptom. Die Betroffenen werten diese Empfindungen aber nicht als „krank“, sondern verurteilen und schämen sich für das, was sie fühlen. Das Aussprechen dieser schambesetzten Gedanken und Gefühle kann ein erster wichtiger Schritt in Richtung Heilung sein. 

Es ist eine große Entlastung für die Betroffene, wenn sie in diesem Moment eine verständnisvolle Reaktion erfährt – und die erwartete Kritik und das Entsetzen über ihre Emotionen ausbleibt. Als Hebamme können Sie hier ein wichtiges Zeichen setzen:

  • Fragen Sie behutsam nach: „Was ist der Grund, dass Sie so über sich denken?“ Achten Sie dabei auf die Körpersprache Ihres Gegenübers, benennen Sie eigene Empfindungen, die in Ihnen aufsteigen, wenn Sie die Mutter anschauen: „Sie sehen ganz traurig aus.“ Mit dieser mitfühlenden, nicht wertenden Botschaft zeigen Sie Verständnis, das der Betroffenen wohltut und von ihr als Unterstützung erlebt wird. Zugleich schaffen Sie eine Atmosphäre, in der die Frau sich Ihnen anvertrauen kann – wenn sie das möchte.
  • „Ich bin froh, dass Sie mir das erzählt haben! Jetzt können wir schauen, dass Sie so schnell wie möglich Hilfe bekommen. Und auch wenn Sie es jetzt vielleicht noch nicht glauben können: Mit einer Behandlung Ihrer Depression werden sich auch Ihre Gefühle für Ihr Kind verändern!“

  1. Sonnenmoser M. Postpartale Depression: Vom Tief nach der Geburt. Deutsches Ärzteblatt 2007;2:82-3
  2. Deutsches Bündnis gegen Depression e.V. (http://www.buendnis-depression.de/depression/nach-der-geburt.php; 2014)
  3. Moehler E, Brunner R, Wiebel A, Reck C, Resch F. Maternal depressive symptoms in the postnatal period are associated with long-term impairment of mother-child bonding. Arch Women’s Ment Health 2006;273-8:9
  4. Reck C, Weiss R, Fuchs T, Möhler E, Downing G, Mundt C. Psychotherapie der postpartalen Depression. Nervenarzt 2004;75:1068-73

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